In-Einklang-Bringung
Nicht erst seit den einstimmigen Gregorianischen Gesängen, die eng mit den lateinischen liturgischen Inhalten der katholischen Kirche verbunden waren, war den Gläubigen das Wort auch Musik.
Benedikt von Nursia (um 480-547) war nicht nur zivilisatorischer Patron der Christianisierung des westlichen Abendlandes, sondern zudem einer der Stifter der abendländischen Musik.
Nicht nur die Schönheit der Maße, gespiegelt in der Architektur des Goldenen Schnittes, sondern auch die Wissenschaft von den Schwingungen der Akustik, hallt in den romanischen Wölbungen der Kathedralen und Klöster wider.
Die Benediktiner, als die Intellektuellen ihrer Zeit, denen einzig die Bibliotheken des überlieferten Wissens offen standen, knüpften an biblische und antike Traditionen an.
Sie suchten – in den Gesetzen der alles durchwaltenden Ordnung – das Universum im Spiegel der menschlichen Seele zu schauen. In ihrer Musik trachteten sie, in vielstimmigem Chor der einstimmigen Melodie, kontemplativ die Gegensätze der Welt zu überwinden und die Harmonie der Sphären hörbar zu machen.
Die Kirchen (wie in anderen Religionen die Moscheen, Synagogen und Tempel) dieser Zeit waren nicht nur als Orte zur Versammlung gedacht, sondern zugleich als Stätten der Harmonisierung des ganzen Menschen durch `Ineinklangbringung´ mit den göttlichen Maßen und Schwingungen.
Denn die Liturgie wurde von jenen frühen Mönchen, die zugleich Natur- und Geisteswissenschaftler waren, als Resonanz der Schöpfungsharmonie aufgefasst.
Papst Gregor (um 540-604), nach dem die Gesänge der Gregorianer benannt sind, taucht erstmals im Prolog des Cantatoriums von Monza im 9. Jahrhundert auf.
Dort heißt es: „Gregorius praesul composuit.“ (Papst Gregor komponierte).
Die benediktinischen Gregorianer waren Musiker, weil sie Mönche waren.
In ihren Schriften stehen philosophische Theorien über Modi und Toni neben Gedanken über Liturgie und ganzheitliches Leben.
Darin, sich und ihre Mitmenschen durch einen einmütigen Gesang in Einklang mit den kosmischen Sphären zu bringen, sahen sie ihren höchsten Lebenssinn.
Mehr als Zeitvertreib war ihnen ihr Gesang die bewusste Verbreitung solcher Schwingungen, die sie als Lobpreis und Dank mit dem Herrn des Alls und dem Gesang der Engel in Verbindung bringen sollten.
Ihr Werk sahen sie darin, den Sphärenklang der Himmel auf Erden hörbar zu machen. Wenn ihre Notation keinen Text definierte, sangen die Gregorianer die Noten als „La-La“, bis die melodiegemäßen Worte gefunden waren.
Bei aller Kraft ihres Gesangs, der also auch Weltanschauung war, waren die Sänger durch die musiktheoretischen Einschränkungen ihrer Zeit gebunden und weit entfernt von der Entfaltung eines freien, improvisierten Gesangs.
Dennoch brachten sie mit ihrem Singen nicht nur die Resonanzräume in den Kathedralen – sondern auch in ihren Herzen zum Schwingen.
Als Beispiel für die innige Verbundenheit von Religion und Musik, möge hier auch Hildegard von Bingen (1098-1179) erwähnt sein. In zahlreichen Variationen besingt sie die Wunder der Schöpfung und das Mysterium der Menschwerdung Gottes in der Bildsprache wortgewordener Musik – oder klanggewordenen Wortes.
Ihre Musik ist zugleich Ausdruck ihres Glaubens und Dank. Symphonie, Harmonie und Klang sind Schlüsselworte ihres Werkes.
Wenn zwar der Reformator Martin Luther (1483-1546) den bis zum 12. Jahrhundert als selbstverständlich angenommenen Einklang von kosmischer und irdischer Harmonie relativierte, indem er meinte, zum Gesang der Engel hätten die Menschen zu Lebzeiten keinen Zugang, so glaubte doch auch er, am Ende der Zeiten würde man den Sphärengesang der Engel hören.
Auch wenn in den fortan getrennten Kirchen die Musik nicht mehr jenen Stellenwert hatte, wie in den tausend Jahren zuvor, erhielt sich das Bewusstsein ihrer Seelen erhebenden Wirkung und die Vorstellung der kosmischen Vorprägung in den irdischen Harmonien. Luther reimt:
„Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Gut gewonnen,
denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel selbst genommen,
weil die lieben Engelein selber Musikanten sein.“
Die Erkenntnis vollkommener Harmonie aller Schwingungskräfte im All (wie schon das griechische Wort „Kosmos“ in der Bedeutung einer allumfassenden universellen Ordnung zum Ausdruck bringt) – sollte nicht ohne Wirkung auf die Resonanzfähigkeit der menschlichen globalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts bleiben – und auch auf der Erde – im Einklang – das Erblühen einer höheren Harmonie zeitigen.
Andreas Klinksiek
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