Die Geometrie von Klang und Zahl

Der Kanzler des Ostgotenkönigs Theoderich, Anicius Manlius Torquatus Severinus Boëthius (475-524), der zugleich Philosoph und Musiktheoretiker war, bis er schließlich, trotz der Beteuerung seiner Unschuld, wegen angeblichen Hochverrats hingerichtet wurde, schreibt über die Geometrie der Pythagoräer, dass sie eine Formel gefunden hätten, die das gesamte harmonikale Wissen veranschauliche. Zu Ehren ihres Lehrers sollen sie dieses System „Phythogoräische Tafel“ genannt haben.

Schon Nikomachos von Gerasa (etwa 60-120) beschrieb diese auf Zahlenproportionen aufbauende Musiktheorie der Pythagoräer in seinem „Encheir’idion“ (Handbüchlein) als geometrisches Klang-Zahlen-Raster.

Auch der alexandrinische Philosoph Jamblichos (um 250-330) schildert diese Tafel. Sie würde „Lambdoma“ genannt, weil die beiden Schenkel dieses Systems die Form des griechischen Buchstabens Lambda (= Λ) habe.

Albert von Thimus (1806-1878) brachte in seinem Buch „Die harmonikale Symbolik des Altertums“ die fast vergessenen Zusammenhänge des Lambdomas der Neuzeit wieder ins Gedächtnis.

Und Hans Kayser schließlich erkannte in diesem Ordnungsschema aller denkbaren Intervallproportionen, die er “Tonzahlen” nannte, den geometrischen Schlüssel zum Verständnis der Beziehung von Klang und Zahl.

Tatsächlich weist uns das Pythagoräische Lambdoma auf den geistigen Charakter der Ober- und Untertöne im Schwingungsfeld des Grundtones hin.

Pythagoras bewies am Monochord die Einheit von Musik, Mathematik, Geometrie und die Wirksamkeit des Geistes in der Stofflichkeit.

Die Entdeckung dieser harmonikalen Zusammenhänge sind zeitlos, kosmisch und ganzheitlich. Die Inspiration des Geistes ließ die ersten Instrumentenbauer ihre Instrumente zugleich als spirituelle und philosophische Welterklärungs-Modelle bauen.

Das Lambdoma

Wenn wir über dieses musikalisch-mathematisch-geometrische System meditieren, werden wir zunehmend mehr erstaunliche Zusammenhänge entdecken.

Die Pythagoräische Tafel des Lambdoma wird sich uns als wunderbar geordnete „Geometrie der Intervalle“ offenbaren.

Kein Ton ist zufällig an seinem Ort. Alle stehen in einer bedeutungsvollen Beziehung zueinander, die sich als völlig logisches und zugleich elementares Klang-Schöpfungsprinzip enthüllt.

Diese Struktur ist nicht nur die Matrix der Ober- und Untertöne eines Klanges, sondern zugleich das geometrisch- mathematische Abbild der Entstehung der Welt.

Dem menschlichen Ohr nicht wahrnehmbar – ordnen sie sich auf ihren Achsen in der Unendlichkeit des Klangraums in immer höhere und tiefere Oktaven.

Jedes dieser Verhältnisse ist also ein Ton, dessen Beziehung zu seinen Nachbartönen innerhalb des Rasters erst dann deutlich wird, wenn man ihn auf einem Instrument erklingen lässt.

Die Diagonale dieser sich unendlich fortsetzenden Tabelle erweist sich als ständig wiederholender Grundton, der mit der „1“ identisch ist. Weitere Gleichtonlinien ergeben sich aus den Verhältnissen 1:2, 2:4, 3:6… – der Oktave des Grundtons, oder durch Verdopplungen der Saitenlänge 2:1, 4:2, 6:3 …

Die Achsen der Kleinen und Großen Terzen, Quarten und Quinten, der Großen Sexten und der Oktaven schwingen konsonant mit dem Grundton.

1/11/21/31/41/51/61/71/8
2/12/22/32/42/52/62/72/8
3/13/23/33/43/53/63/73/8
4/14/24/34/44/54/64/74/8
5/15/25/35/45/55/65/75/8
6/16/26/36/46/56/66/76/8
7/17/27/37/47/57/67/77/8
8/18/28/38/48/58/68/78/8

Die folgende Abbildung zeigt in den ersten 8 x 8 = 64 Tönen nur einen kleinen Ausschnitt des sich unendlich fortsetzenden Lambdomas der schwingenden Ober- und Untertöne.

Lambdoma (Ausschnitt)

In Analogie von Ton und Farbe bildet das Lambdoma das harmonikale Geschehen eines Klanges ab: alle 12 Töne klingen vielfach mit dem Grundton.

Wie das Chlorophyll der Blätter eines Baumes fügt sich im Lambdoma das Grün des Tones „c“, das hier wie die Farben der anderen Töne in Annäherung der tatsächlichen Farbschwingung des Klanges wiedergegeben ist. Wie bunte Früchte erscheinen die resonierenden Ober- und Untertöne im Blattgrün des „c“-Baumes. Bei anderen Ausgangstönen als dem hier gewählten „c“ – ändert sich zwar mit der Benennung der einzelnen Töne auch die Farbigkeit des Bildes, nicht aber die Struktur des Lambdomas in seinen proportionalen Beziehungen der verschiedenen Achsen.

Die Bedeutsamkeit dieser Geometrie des Klanges veranschaulicht ein Phänomen, das zugleich die Natur- wie Geistes-Wissenschaften tangiert:

Die Darstellung dieser Töne in den ihnen entsprechenden Farben erläutert den Zusammenhang zwischen Farbe und Klang. Denn die Colorierung der Noten entspricht in Annäherung ihrer tatsächlichen Farbigkeit, die sich ergibt, wenn man durch Oktavierung die jeweilige Farbe in den hörbaren – oder den jeweiligen Ton in den adäquaten Frequenzbereich des sichtbaren Lichts transponiert.

In diesem Zusammenhang sei auf die Technik der „Oktavierung“ hingewiesen, deren Gesetzmäßigkeit Johann Wilhelm Ritter (1776 – 1810) entdeckte. Durch sie können dem menschlichen Gehör unhörbare Klänge in den Bereich der akustischen Wahrnehmbarkeit transponiert werden.

In der grafischen Darstellung fällt auf, dass alle diese Achsen auf einen Punkt zustreben, der außerhalb des Rasters zu liegen scheint. Und tatsächlich ist der Punkt 0/0 der eigentliche verborgene Ursprung des Lambdomas.

Mathematisch gesehen ist dieser Punkt ein Kuriosum. Denn eine Zahl durch sich selber dividiert ergibt 1. Null durch eine Zahl geteilt, ergibt aber Null. Eine Zahl durch Null zu dividieren ist mathematisch nicht definiert. Andererseits hat 0:0 den Grenzwert unendlich.

Also stellen sich in diesem Punkt alle drei Fälle auf einmal dar: Null, Eins und Unendlich.

Auch wenn die „0“ als Zentrum des Koordinatenkreuzes selber nicht hörbar ist, so wird doch das Lambdoma erst durch sie vollständig.

Ihre zentrale Stellung fiel uns schon bei der Betrachtung des kosmischen Koordinatensystem auf, als wir vermeinten die 0 als „Nichts und Alles“ und den Ursprung der göttlichen Liebe zu erkennen. Also scheint es nicht vermessen, in ihr auch in diesem Schwingungsraster des Klanges und Lichtes (Farbe), den planenden göttlichen Ursprung zu sehen.

Letztlich ist der Mensch selber solch ein resonierendes Lambdoma-Klangfeld, das ihn innig verbindet mit seinen Mitmenschen, dem Universum und Gott.

Das Pythagoräische CHI

In der reziproken Zahlenstruktur des Lambdomas, die in sich unendlich ist, sah Pythagoras nur einen Teil einer noch umfassenderen Struktur, die er „chi“ (griechisch „X“ = Kreuz) nannte.

Das obere Feld des Gamma (= γ) und das untere des Lambda (= Λ) ergänzen sich – durch die Null verbunden – zum Chi (= X).

Während der untere Teil des Chi (das Lambdoma) die harmonikal geometrische Gesetzmäßigkeit der Klangerzeugung darstellt, definiert das obere Feld, das Pythagoras nach dem griechischen Buchstaben „γ“ Gamma nannte, die wechselwirkende multiplikative Beziehung der Grundzahlen.

Entstehen die Obertöne durch die Teilung der Saite in die harmonikalen Proportionen der Intervalle, lässt sich die Bandbreite der Unterton-Frequenzen als deren Verdopplung, Verdreifachung… verstehen. Die Obertonreihe erscheint in der Untertonreihe symmetrisch gespiegelt.

Das Chi weicht vom kartesischen Koordinatenkreuz ab, weil es keine negativen Zahlen – sondern die Zahlenverhältnisse der Multiplikation und Division zeigt.

So offenbart das „Chi“ nicht nur den Aufbau der Grundzahlen – sondern auch die Entstehung der Welt.

91827364554637281
81624324048566472
71421283542495663
61218243036424854
51015202530354045
4812162024283236
369121518212427
24681012141618
123456789
0

Dieses „Pythagoräische Chi“ ist mehr als ein Raster. Jede einzelne Ziffer des Kreuzes ist von universeller Bedeutung. Denn das Kreuz des Chi stellt als kosmisches Koordinatenkreuz, die dreidimensionalen Achsen dar, die Himmel und Erde verbinden.

Die Achsen des Lambdas und Gammas kreuzen sich zu einem Plus, das mehr als Symbol ist: Lebenswirklichkeit!

Hier wird nicht nur die Beziehung von Zahl und Klang dargelegt, sondern der göttliche Bauplan des Alls.

Der Tonraum der Oktaven

Da also jede Tonschwingung zugleich auch eine geometrische Form ist, soll im Folgenden die Beziehung von Klang und Zahl und Form skizziert werden.

Das Schema des Tonraums der Spirale stellt den Grundton in der Mitte des Chi dar. Die Wellen des ins Wasser geworfenen Steines pflanzen sich unendlich fort.

Im Zentrum der Spirale des Tonraumes ist die Eins der Grundton im All. Aus ihm entstehen alle weiteren Zahlen und Töne in den Oktaven. Gleichsam dem ersten Ring des Steinwurfes in den Spiegel des Wassers – bildet die Zwei die erste Oktave.

Die Zyklen der Zahlen im Tonraum

In den Ober- und Untertönen des Grundtones entstehen in den folgenden Oktaven (2:4, 4:8, 8:16 und unendlich so fort) die zwölf Töne, aus denen alle Musik entsteht.

In der Darstellung des Tonraumes entspricht also je ein Kreis der fraktalen Spirale einer Oktave.

Gleiche Kreisrichtungen bilden Achsen mit immer auch gleichen Tönen der unterschiedlichen Oktaven.

Im Oktaven-Klangraum füllt sich die Klangstruktur mit jeder weiteren Rundung um jeweils doppelt so viele Tonzahlen wie die vorherige hatte, wobei jede neue aufgetretene Tonzahl eine Achse mit ihren Ober- und Untertönen bildet.

Wir hatten die erstaunliche Dichtheit des Klanggewebes schon an anderer Stelle errechnet: in 20 Zyklen oder Oktaven schwingen bereits 1.048.575 Obertöne mit dem Grundton.

Wie jeder Klang im harmonikalen Beziehungsgeflecht, ist jede Zahl ein archetypisches Bild für eine wirkende Kraft in der Ordnung der Welt.

Die Betrachtung der tonalen Struktur des Zahlenuniversums zeigt, dass jede Zahl und jeder Klang des Systems nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Wert hat, der sich als ein besonderes geistiges Prinzip der Schöpfung ausdrückt.

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